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Betreutes Nähen 2 – Größenwahl und Nesselteil

Nachdem im betreutem Nähen Teil 1 die Entscheidung für einen Schnitt fiel, geht es weiter mit Größenwahl und eventuell einem Nesselteil.

Im Schnittmuster die richtige Größe wählen

Hat man sein Schnittmuster gefunden und zusammengeklebt bzw. kopiert, muss frau sich für die richtige Größe entscheiden. Leider sind Konfektionsgrößen nicht standardisiert und jede Designerin kann sich Größen definieren wie sie will. Man muss also mindestens jedes Mal, wenn man eine neue Schnittmusteranbieterin testet neu in die Größentabelle vertiefen. Für viele Frauen kommt nun noch hinzu, dass sie an jeder Körperstelle eine andere Größe vorweisen.

Was machen wir nun?

1. Ausmessen

Nicht immer aber unbedingt öfter Mal, sollte frau sich vor dem Nähen neu vermessen. Körper sind nicht statisch und manche Änderung merkt man gar nicht gleich. Mit aktuellen Werten arbeiten ist immer am besten.

2. Blick in die Tabelle

Dann legen wir mal die Werte über die Maßtabelle und schauen wo es landet. Das hier ist die Maßtabelle des Blazers Franzine von Sew Over it, den ich nähen werde. Leider ist hier alles nur in inch angegeben. Zum Glück gibt es Maßbänder, die auf einer Seite Zentimeter und auf der anderen inches zeigen. In rot meine Maße.

Größentabelle

Ich bin geradezu ein Paradebeispiel für das Überspringen von Größen:

  • An der Brust liege ich genau zwischen Größe 10 und 12.
  • Meine Taille ist eine 12
  • Meine Hüfte ist eine 14

Ich wiederhole mich jetzt aber kann man nicht oft genug sagen: Konfektionsgrößen bilden fiktive Durchschnittskörper ab. Es ist NORMAL, wenn du dich nicht in einer einzigen Größe wiederfindest. Hab keine Angst vor Anpassungen, das lernt man mit der Zeit und ist ganz normaler Bestandteil des Nähens.

Jetzt könnte ich an allen Schnittmusterteilen einen geschmeidigen Übergang von 12 zu 14, jeweils von oben nach unten einzeichnen. Bei weniger komplexen Schnitten mit weniger Teilen tue ich das meistens nach Gefühl. Wenn man eine Weile näht, bekommt man ein immer besseres Augenmaß für die Anpassungen, die der eigene Körper verlangt. Aber dieser Blazer besteht aus einer Menge Teile und ich plane ohnehin ein Nesselteil zu nähen. Ich mache etwas anderes.

3. Fertigmaßtabelle prüfen
Fertigmaßtabelle Blazer Franzine

Ich trage Blazer gern als Ersatz für Strickjacken. Also gern mit voluminösen Blusenärmeln oder sogar mit Rollkragenpulli drunter. Ich brauche also etwas Luft in meiner Jacke.

Falls du nicht weißt wozu es diese Fertigmaßtabelle überhaupt gibt: Für jedes Schnittmuster wird zum Körpermaß eine Bequemlichkeitszugabe ergänzt. Die ist nötig damit man sich später bewegen kann. Vor allem bei unelastischer Webware ist das unerlässlich. Diese Bequemlichkeitszugabe kann je nach gewünschtem Style sehr unterschiedlich ausfallen, je nachdem wie körpernah oder eben Oversized das Kleidungsstück später ausfallen soll. Bei Jersey kann die Bequemlichkeitszugabe sogar negativ sein, wenn der Look später wie auf den Leib gemalt aussehen soll. 

Die Fertigmaßtabelle dieses Blazers verrät mir, dieser Schnitt ist eher körpernah. Die Differenz zwischen Körper- und Fertigmaß ist für eine Jacke relativ gering. Wenn ich ohnehin ein Nesselteil nähe, gehe ich hier auf Nummer sicher und wähle erstmal die etwas größere Größe. Damit wird es auf jeden Fall an der Hüfte passen und an den anderen Körperstellen kann ich dann ausprobieren, ob ich es locker lasse oder mich durch kleine Anpassungen dem körpernahen Look der Designerin annähere.

Das Nesselteil

Ich nähe mir also ein Nesselteil in Größe 14. Ein Nesselteil kann bei drei Dingen helfen:

  • Check der Passform
  • Check des Designs
  • Identifizieren und Üben schwieriger Stellen
Passformcheck

Für die Passform ist mir bei einem Blazer der Schulterpunkt, der Brustpunkt und generell die Weite an allen Körperstellen wichtig.

Der Schulterpunkt ist bei mir optimal, das heisst die Ärmelnaht sitzt, von vorn betrachtet, genau am Scheitelpunkt meiner Schulterkurve. Das überrascht mich etwas, da ich ja laut Größentabelle im oberen Bereich eher etwas zu groß genäht habe.

Der Brustpunkt stimmt ebenfalls, dass heisst die Wiener Naht läuft bei geschlossener Jacke genau über den stärksten Punkt meiner Brust.

Die Weite im Bereich der Schulterblätter stimmt für mich. Das testet man am besten indem man die Arme einmal gerade nach vorne streckt. Im Rücken darf es dann nicht zu sehr spannen. Mit hängenden Armen könnte man meinen der Rücken ist etwas zu breit geschnitten aber diese Mehrweite brauche ich für die Bequemlichkeit.

Auch an der Hüfte brauche ich die Weite von Größe 14 aber meine Taille versinkt mir zu sehr. Da möchte ich es etwas körpernäher.

Nesselteil Blazer Franzine
Designcheck

Im Grund weiß man vorher wie das Kleidungsstück aussieht aber am eigenem Körper können Details nicht so gut aussehen wie an der Beispielfrau oder einfach anders als in der Vorstellung. Jetzt kann man gut noch Details ändern und so dem Kleidungsstück einen neuen Twist geben. Mich stört auf den Bildern, dass meine ohnehin breite Hüfte extra betont wird. Die horizontale Linie des Saums wird optisch verlängert durch den Übergang in die Ärmelsäume. Ich brauche hier einen Bruch dieser Linie und werde die Jacke deutlich kürzen. Meine Änderungswünsche stecke ich einmal mit reichlich Nadeln und schlafe drüber, ob mir noch etwas anderes auffällt oder wirklich zufrieden bin.

Nesselteil überarbeitet
Identifizieren und Üben schwieriger Stellen

Da ich schon einige Jacken und Blazer genäht habe, ist der Kragen für mich keine Hürde mehr. Wer seine erste Jacke mit einem Kragen dieser Art näht, sollte ruhig auch die Kragenteile einmal zuschneiden und nähen. Zweiter Punkt, der bei Blazern entscheidend ist, sind die Ärmel. Wenn das dein erste Blazer ist, hast du vielleicht noch nie Ärmel “geschlossen” eingenäht!?

Ärmel “offen” einnähen bedeutet sie einzusetzen und erst danach die untere Ärmelnaht und die Seitennaht des Oberteils zu schliessen

Ärmel “geschlossen” einnähen, heisst erst die Ärmel zu schliessen, die Seitennähte zu schliessen und dann den Ärmel in das Armloch zu setzen.

Spätestens beim Nesselteil wird dir auffallen, dass der Umfang der Ärmel minimal größer ist als das Armloch. Das ist nötig, damit später in der Armkugel möglichst gute Beglichkeit gewährleistet ist. Um das einzupassen muss man den Ärmel “einhalten” – also minimal raffen. Das kann man von Hand machen oder mit der Overlock. Hast du das noch nie gemacht oder bist dir nicht sicher wieviel eingehalten werden muss, teste auch das am Nesselteil.

Bei meinem Blazerschnitt ist die Wiener Naht vorn extrem stark gekrümmt. Auch hier werde ich später ein wenig einhalten, um das besser zusammen nähen zu können.

Damit hat das Nesselteil seine Funktion erfüllt und ich übertrage meine Änderungswünsche auf meinen Papierschnitt.

Wie kommst du voran Julia?

Comments (5)

[…] EDIT: Weiter geht es jetzt in Teil 2 “Betreutes Nähen – Größenwahl und Nesselteil” […]

Vielen Dank, da waren viele Punkte aufgegriffen über die ich schon mal nachgedacht habe. Bisher habe ich meine Projekte dann so gestaltet das diese Fragen, soweit ich keine Antwort fand, umgangen bin. Eine Frage hätte ich jetzt noch; wie bedenkst Du bei dem Nessel-Stück das dein fertiger Blazer später möglicherweise Oberstoff und Futter hat?

Hallo Renate,
wenn du normalen Futterstoff verwendest, ist der so dünn, dass er keinen Einfluss auf deine Passform nimmt und du ihn ignorieren kannst.
Wenn du allerdings gestepptes Futter mit Thermovlies verwenden willst, wird das schon schwieriger. Wenn die Jacke trotzdem sehr körpernah werden soll, müsstest du (bei Perfektionsanspruch) wohl ein Nesselteil mit ähnlichem (Futter-)Stoff erstellen.

Nesselteil … nun ja. Ich lese immer mal wieder davon, bin aber selbst bislang immer viel zu faul und überspringe diesen Schritt, auch wenn ich verstehe, dass es sehr sinnvoll sein könnte. Ein Teil nur für Anpassungen zu nähen, lockt mich aber so gar nicht ….

Versteh ich gut 😅
Ich mach das auch eher selten aber wenn das Finalteil aus sehr teurem Stoff ist , der Schnitt sehr komplex oder ich mir einen perfekt sitzenden Grundschnitt erstellen will,dann motiviere ich mich doch mal.

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